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Im Krieg erlebt man nicht nur ein Trauma

Gerlinde Felix stellt fest: „Ein Trauma liegt laut dem US-amerikanischen Diagnose Manual (DSM-5) vor, wenn eine Konfrontation mit dem Tod, Verletzung, Verlust oder sexueller Gewalt passiert ist.“ „Und zwar auch dann, wenn es der Person nicht selbst passiert ist, sie aber Zeuge wurde, wie jemand es erleben musste“, sagt Meryam Schouler-Ocak. Im Krieg erlebe man nicht nur ein Trauma, sondern eine Aneinanderreihung von traumatisierenden Erlebnissen. Es würden täglich welche dazukommen. Die sogenannte traumatische Zange spielt dabei eine Rolle, bestehend aus überflutender Todesangst, dem Gefühl, einer Situation nicht entfliehen zu können, und dem Gefühl des Ausgeliefertseins, also der persönlichen Ohnmacht. Flashbacks sind die Folge einer fehlerhaften Abspeicherung von Erinnerungen an das traumatische Erlebnis im Gehirn. Die ersten Tage nach dem Trauma seien die Schockphase.

Der Schlüssel zum Umgang mit einem Trauma liegt in der Kindheit

Gekennzeichnet ist sie häufig durch den Eindruck, nichts spüren oder fühlen zu können. „Ob sich daraus später eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt oder man wieder auf die Beine kommt, hängt sehr stark davon ab, ob man das Erlebte in den ersten zwei bis vier Wochen nach der Schockphase in einer sogenannten Einwirkungsphase verarbeiten kann“, sagt Meryam Schouler-Ocak. In dieser Zeit entscheide sich, wie das Gehirn die Geschehnisse verarbeitet. Ob es Strategien entwickelt hat, mit der Belastung umzugehen.

Der Schlüssel dazu liegt oftmals in der Kindheit. Gerlinde Felix erklärt: „Menschen, die emotionale Sicherheit erfahren haben, können spätere traumatisierende Erlebnisse besser verarbeiten. Bei gut 40 Prozent bilden sich die Symptome von selbst zurück.“ Wer aber keine Bewältigungsstrategien gelernt hat, um seine aufgewühlte Seele zu beruhigen, wer keine Unterstützung erhält, dem droht, die Kontrolle über die Gefühle zu entgleisen. Mit jeder Misshandlungserfahrung aus Kindheit und Jugend, dem fehlenden Gefühl der Sicherheit, steigt auch das Risiko zu erkranken überproportional an.

Bei einem Trauma leidet der ganze Körper

Jeder Flashback bedeutet ein erneutes Trauma. Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit und Kontrollverlust treten nochmal auf. Gerlinde Felix ergänzt: „Hinzu gesellen sich oft zusätzliche Leiden wie Sucht- oder Essstörungen.“ „Knapp 70 Prozent der Betroffenen haben nicht nur eine, sondern sogar zwei dieser Trauma induzierten Störungen“, berichtet Meryam Schouler-Ocak. „Neben der PTBS handelt es sich oftmals um eine Depression oder Angststörung oder um beides.“

Aber nicht nur die Psyche, der ganze Körper leidet. Oft gesellen sich körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kurzatmigkeit und Herzstechen hinzu. Manchmal nur als leichte Störung, manchmal auch als ausgeprägte Erkrankung. „Traumatisierte Menschen wirken häufig körperlich verfrüht gealtert“, sagt die Psychologin und Psychotraumatologin Iris-Tatjana Kolassa, die die Abteilung Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm leitet. Ein traumatisierter Mensch sei permanent auf einem erhöhten Stresslevel und ständig in Alarmbereitschaft. Quelle: „Die Wunden werden immer wieder aufgerissen“ von Gerlinde Felix in „DIE WELT“ vom 23. Februar 2023

Von Hans Klumbies

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